Praxisgemeinschaft oder Gemeinschaftspraxis? – Was das LSG-Urteil für Ärzt:innen bedeutet

Wie eine falsche Praxisform teuer werden kann – und worauf Sie achten müssen, um Abrechnungsprobleme zu vermeiden.

Überblick: Was ist passiert?

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat am 18. September 2024 ein wichtiges Urteil gesprochen. Zwei Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie gaben an, eine Praxisgemeinschaft zu betreiben. Tatsächlich aber arbeiteten sie wie eine Gemeinschaftspraxis, ohne dies offiziell anzugeben oder genehmigen zu lassen.

Das Ergebnis: Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) und die gesetzlichen Krankenkassen forderten über 70.000 € an Honorar zurück. Das Gericht gab ihnen recht.

Praxisgemeinschaft vs. Gemeinschaftspraxis – was ist der Unterschied? 

Praxisgemeinschaft:
  • Ärzte arbeiten voneinander getrennt.
  • Nur Räume, Geräte und eventuell Personal werden gemeinsam genutzt.
  • Jeder Arzt hat eigene Patienten, eigene Karteien, eigene Abrechnung.
  • Ziel: Kosten sparen, keine gemeinsame medizinische Leistung.

Gemeinschaftspraxis (auch: Berufsausübungsgemeinschaft):
  • Ärzte arbeiten gemeinsam an denselben Patienten.
  • Gemeinsame Patientenkartei und gemeinsame Abrechnung.
  • Es gibt eine gemeinsame Zulassung durch die KV.
  • Ziel: Gemeinsame medizinische Behandlung.

Wichtig: Wer tatsächlich gemeinsam behandelt, muss dies offiziell als Gemeinschaftspraxis führen und genehmigen lassen.

Der konkrete Fall

Zwei Ärzte teilten sich offiziell nur Räume – also eine Praxisgemeinschaft. Bei einer Prüfung 2014 stellte die KV aber Folgendes fest:

  • Bis zu 50 % der Patienten wurden von beiden Ärzten behandelt.
  • In 71 % der Fälle wurde die Versichertenkarte am selben Tag bei beiden Ärzten eingelesen.
  • Es wurden häufig Blanko-Überweisungen geschrieben – ohne konkreten Behandlungsgrund.
  • Die Ärzte vertraten sich gegenseitig „auf Zuruf", ohne offiziellen Vertretungsnachweis.

Diese Punkte sprechen nicht für eine echte Praxisgemeinschaft, sondern für eine verdeckte Gemeinschaftspraxis – und das ist nicht erlaubt, wenn keine Genehmigung dafür vorliegt.

Was hat das Gericht entschieden?

Das Landessozialgericht entschied:

„Es liegt ein Formenmissbrauch vor."

Das bedeutet: Die Ärzte haben die äußere Form der Praxisgemeinschaft gewählt, aber in Wirklichkeit wie eine Gemeinschaftspraxis gehandelt – ohne Genehmigung.

Die Folge:

  • Die Krankenkassen dürfen das zu viel gezahlte Honorar zurückfordern.
  • Die Rückforderung von über 70.000 € ist rechtmäßig.
  • Auch die gerichtliche Revision wurde abgelehnt.

Die entscheidenden Indizien

Das Gericht stützte sich auf vier zentrale Punkte:

1. Hohe Zahl gemeinsamer Patienten
  • Über 20 % gemeinsamer Patienten sind auffällig.
  • Hier waren es bis zu 50 % – ein starker Hinweis auf Gemeinschaftspraxis.
2. Gleichzeitiges Einlesen der Chipkarten
  • In 71 % der Fälle wurde die Versichertenkarte am selben Tag bei beiden Ärzten eingelesen.
  • Das ist untypisch und spricht für organisierte Zusammenarbeit.
3. Blanko-Überweisungen
  • Überweisungen ohne Diagnose oder konkreten Grund sind nicht zulässig.
  • Diese wurden offenbar regelmäßig verwendet.
4. Vertretung „auf Zuruf"
  • Vertretung darf in einer Praxisgemeinschaft nur im Ausnahmefall und mit Dokumentation erfolgen.
  • Das war hier nicht der Fall.

Für das Gericht war klar: Diese Punkte belegen eine faktische Gemeinschaftspraxis – ohne Genehmigung = Missbrauch.

Warum die Argumente der Ärzte nicht überzeugten

Die Ärzte verteidigten sich:

  • Einer behandle mit Akupunktur, der andere mit Chirotherapie – sie ergänzten sich fachlich.
  • Das Einlesen der Versichertenkarte sei nur organisatorisch.
  • Die gegenseitige Vertretung sei wegen ihrer Kinder nötig gewesen.

Doch das Gericht war nicht überzeugt:

  • Die Spezialisierungen wurden nicht regelmäßig dokumentiert oder angewendet.
  • Die gleichzeitige Behandlung sei nicht zufällig, sondern strukturell.
  • Vertretung muss offiziell angezeigt und genehmigt sein – das war nicht der Fall.

Was bedeutet das für andere Praxen? ✅ Eine Praxisgemeinschaft ist nur dann rechtlich korrekt, wenn:
  • keine gemeinsamen Patienten behandelt werden.
  • jeder Arzt getrennt abrechnet.
  • Vertretungen klar und dokumentiert erfolgen.
  • Überweisungen nachvollziehbar begründet sind.

Wenn Ärzt:innen gemeinsam behandeln wollen, müssen sie eine Gemeinschaftspraxis gründen – mit Zulassung durch die KV.

Die 20-%-Regel

Die Kassenärztlichen Vereinigungen gehen ab 20 % gemeinsamer Patienten von einem Verdacht aus. Ab 30 % gilt eine verdeckte Gemeinschaftspraxis als sehr wahrscheinlich.

Was bedeutet das konkret?

  • Wenn mehr als 1 von 5 Patienten bei beiden Ärzten behandelt wird, droht eine Plausibilitätsprüfung.
  • Es kann zu Rückforderungen, Honorarkürzungen und sogar strafrechtlichen Folgen kommen.
📌 Zusammenfassung der wichtigsten Punkte
Kriterium Erlaubt in Praxisgemeinschaft? Im Fall passiert?
Gemeinsame Patientenversorgung ❌ Nein ✅ Ja, bis 50 %
Gemeinsame Karteiführung ❌ Nein ✅ Vermutet
Gleichzeitige Chipkarten-Einlesung ❌ Nein ✅ Ja, in 71 % der Fälle
Blanko-Überweisungen ❌ Nein ✅ Häufig
Vertretung ohne Notfallnachweis ❌ Nein ✅ Regelmäßig „auf Zuruf"
KV-Genehmigung als Gemeinschaftspraxis ✅ Nur mit Antrag ❌ Nicht erfolgt

Empfehlungen für Ärzt:innen - So vermeiden Sie Probleme:
  1. Praxisform klar regeln:
    • Praxisgemeinschaft = keine gemeinsame Behandlung.
    • Gemeinschaftspraxis = gemeinsame Behandlung mit Genehmigung.
  2. Vertretung nur mit Dokumentation:
    • Notfall, Urlaub, Krankheit – alles schriftlich nachweisbar machen.
  3. Überweisungen immer begründen:
    • Warum wurde der Patient weitergeschickt?
    • Welche Diagnose oder Behandlung war nötig?
  4. Gemeinsame Patientenanzahl prüfen:
    • Liegt der Wert über 20 %? Dann handeln – Beratung einholen.
  5. Keine Doppelleistungen abrechnen:
    • Sonst drohen Rückforderungen und rechtliche Konsequenzen.

Warum ist das auch für Patient:innen wichtig?
  • Saubere Praxisformen bedeuten:
    • Transparente Abrechnung
    • Sicherer Datenschutz
    • Vertrauenswürdige Versorgung
  • Bei Missbrauch zahlen am Ende alle gesetzlich Versicherten mit – durch steigende Beiträge.

Begriffe einfach erklärt
  • Praxisgemeinschaft:
    Ärzte arbeiten getrennt, teilen nur Räume und Kosten.
  • Gemeinschaftspraxis:
    Ärzte arbeiten gemeinsam an denselben Patienten – mit gemeinsamer Abrechnung.
  • Formenmissbrauch:
    Eine andere Struktur wird vorgetäuscht, um Regeln zu umgehen.
  • Plausibilitätsprüfung:
    Die KV kontrolliert, ob Behandlungen und Abrechnungen nachvollziehbar sind.
  • Blanko-Überweisung:
    Überweisung ohne konkrete Diagnose – unzulässig.

Fazit: Besser klar regeln als teuer zahlen

Die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg zeigt:
Wer Praxisformen nicht sauber trennt, riskiert hohe Rückforderungen und rechtliche Folgen.

Was Sie tun sollten:

  • Praxisstruktur prüfen.
  • Bei Unsicherheiten: Juristischen Rat einholen.
  • Im Zweifel lieber offiziell zur Gemeinschaftspraxis wechseln – statt informell handeln und später zahlen.

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Ihr Team von Datenschutz Prinz

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